Luisa Mielenz
Vernissage am 21. Juli um 18 Uhr
geöffnet 22. bis 24. Juli von 15-20 Uhr
erstererster, Pappelalle 69, 10437 Berlin
Eintritt frei
Der Prenzlauer Berg ist der Bezirk in Berlin, der vor allem als Paradebeispiel rapider Gentrifizierung und Modernisierung bekannt ist. Ich habe meine Jugend dort verbracht und diese Entwicklungen teilweise miterlebt, bis ich Berlin verlassen habe. Als ich letztes Jahr zu Besuch kam spazierte ich häufig durch den Kiez und fragte mich: Wo sind eigentlich die älteren Menschen? Gibt es sie nicht mehr oder sehe ich sie nicht? Diese Fragen bildeten den Ausgangspunkt einer Suche, auf der ich auf unterschiedlichen Wegen viele Menschen kennen gelernt habe, für die der Prenzlauer Berg das ist, was er auch für mich bedeutet: Ein ganz normales Zuhause.
„Wir sind die Reste“, nennen sich einige selbst humorvoll. Mit vielen habe ich Gespräche
geführt, andere habe ich immer wieder getroffen und porträtiert. Sie haben erzählt von ihrer Kindheit, Jugend, ihrem Erwachsenenalter und dem Älterwerden in diesem Kiez, in einer Großstadt, einem Ort, den ich nur aus einer ganz eigenen, anderen Perspektive kannte.
Ich habe einige Zeitzeugen*innen immer wieder getroffen und sie in Momenten ihres Alltags fotografisch begleitet. Die kleinen Details und Momente, Brüche und feinen Bewegungen festgehalten. In meiner Fotoserie verbinden sich verschiedene Leben und Identitäten ebenso wie die dazugehörenden Erzählungen, die viele Überschneidungen aber auch unterschiedliche Wahrnehmungen auf Erlebtes erkennen lassen. Zusammen erzählen sie eine neue Geschichte, welche ein Bruchstück der Bezirksgeschichte bilden kann.
Ich ergründe in meiner Arbeit die Vielschichtigkeit des Sehens und des Gesehenwerdens und kratze die Schichten der pittoresk sanierten Fassaden der im Prenzlauer Berg stehenden Häuser eine nach der anderen ab. Ein Zeitzeuge sagte mir, er sehe immer in Schichten. Schichten der Veränderung und Schichten der Fassaden.
Während die Zeit verging und ich die Menschen immer regelmäßiger traf, drängten sich
immer neue Fragen in den Vordergrund: Wie gestaltet man individuell das Leben und den Alltag in der letzten Lebensphase? Was bleibt? Vordergründig stellte sich mir jedoch die Frage:
Wer ist mein Gegenüber?
Es sind Menschen einer Generation, die vor dem zweiten Weltkrieg oder währenddessen geboren sind. Sie haben in einem zertrümmerten aber ungeteilten Deutschland und Berlin ihre Kindheit erlebt. Alle die, die in Berlin geboren sind, haben im Exil den Krieg gelebt, dort ihre ersten Schuljahre verbracht. In Polen, Sachsen, Mecklenburg. Es sind keine Einzelschicksale. Sie haben die Nachkriegszeit miterlebt und die Teilung des Landes, bei der Familien gespalten wurden. Die meisten von mir Porträtierten sind in Ostberlin erwachsen geworden, haben dort Familien gegründet, zu Beginn oft erst beengt und dann in großen Altbauwohnungen, die sanierungsbedürftig waren, gewohnt. Sie hatten Lauben im Großraum Berlin. Sie waren zwischen 30 und 40, als die DDR zerfiel und es zur Wiedervereinigung kam. Es sind Lebensgeschichten in unruhigen Zeiten, hier sehe ich eine Verbindung zwischen meinen Gesprächspartner*innen und Protagonist*innen meiner Arbeit. Einige haben nach der Wende ihre Jobs verloren und der Frührente zugestimmt, da es keine Arbeit gab. Andere haben sich alle zwei Jahre von einem Projekt zum anderen gehangelt.
Alle kennen die Brüche, Veränderungen und Renovierungswellen im Prenzlauer Berg.
Die Arbeit mit der Kamera erlaubt mir am Direktesten und Fokussiertesten, die aktuelle Zeit und die Menschen aus der gegenwärtig ältesten Generation aufzunehmen, festzuhalten und kennen zu lernen. Während meine Generation nach vorne schaut, in die ungewisse Zukunft, blicken sie in in die Vergangenheit und leben aber, so wie wir, in der Gegenwart, wo sich unsere Blicke treffen. Ich habe die Spuren langer intensiver Leben betrachtet und fotografisch festgehalten. Es geht in meiner fotografischen Arbeit um das ganze Leben, um das was war und ist, was sein und bleiben wird. Ich habe Zeit mit Menschen verbracht, in dessen Leben die Stille langsam einkehrt und die gleichzeitig ein aktives Leben an einem Ort führen, der sich so schnell verändert, dass man meinen könnte, sie würden die unsichtbare(n) Konstante(n) bilden.
Es ist eine Suche nach dem Älterwerden im Kiez und vielleicht aber auch, losgelöst vom Ort, dem Älterwerden im eigenen Zuhause, das man sich über die Jahre erschaffen hat.